Psalm (Ps) 106: Auslegung und Kommentar
Auslegung und Kommentar zum Psalm (Ps) 106: Gottes Treue
Ps 106,1: Hallelujah! Dankt dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Gnade währt ewiglich!
Für uns bedürftige Geschöpfe ist die erste Eigenschaft Gottes, die uns zum Preise stimmt, seine Güte. Weil er gut ist, ist er seinem Volk gnädig, gibt er ihm, was es nicht gesucht und nicht verdient hat. Und weil er Gott ist, währt seine Gnade ewig, denn er verändert sich nicht. Darum haben wir immer Ursache, ihm zu danken. Darum danken wir ihm nicht nur am Tag des Glücks, sondern auch am Tag des Unglücks. Lasst uns nie säumig sein, dem Herrn den schuldigen Lobpreis zu erstatten. Ihm zu danken, ist das Geringste, was wir tun können.
Ps 106,2: Wer kann die Machttaten des Herrn beschreiben und all seinen Ruhm verkünden?
Denn was kannst du von ihm sagen, was, wiederhole ich, kannst du Angemessenes von ihm sagen, der erhabener ist als alle Höhe und tiefer als alle Tiefe, klarer als alles Licht und heller als alle Helle und glänzender als aller Glanz, stärker als alle Stärke, kraftvoller als alle Kraft, schöner als alle Schönheit, wahrer als alle Wahrheit, mächtiger als alle Macht, größer als alle Größe und majestätischer als alle Majestät, reicher als aller Reichtum, weiser als alle Weisheit, milder als alle Milde, gerechter als alle Gerechtigkeit, gnädiger als alle Gnade? Tertullian.
Ps 106,3: Wohl denen, die das Recht beachten, die Gerechtigkeit üben allezeit!
Ps 106,4: Gedenke an mich, o Herr, aus Gnade gegen dein Volk. Suche mich heim mit deiner Rettung.
Bisweilen scheint die Bitte dieses Verses uns zu groß. Wir fühlen uns nicht wert, dass der Herr unter unser Dach eingehe. Du mich besuchen, Herr? Dennoch: So unbedeutend ich bin, vergiss doch mein nicht! Denke voller Gnade an mich. Mehr kann ich nicht bitten, doch möchte ich auch nicht weniger begehren. Kehre bei mir ein in Herz und Haus und gib mir das Heil, das du bereitet hast und allein geben kannst. Jesus sagte von Zachäus: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, und dies war so, weil er selbst da eingekehrt war. Es gibt kein Heil, das losgelöst vom Herrn bestehen könnte. Der Vater hat uns gesegnet mit allerlei geistlichem Segen durch Jesus Christus, da er uns in ihm erwählt hat. Wir begehren kein anderes Glück zu sehen, zu genießen und zu ergreifen.
Ps 106,5: Dann kann ich mit eigenen Augen das Glück derer sehen, die du erwählt hast, ich darf mich mitfreuen, wenn dein Volk sich freut, darf stolz sein gemeinsam mit dem Volk, das dein Erbe ist.
Ps 106,6: Wir haben gesündigt samt unseren Vätern, wir haben Unrecht getan, haben gottlos gehandelt.
Der Beter hat um Gottes Wohltaten gebeten, nun bekennt er die Sünden, die Gottes Wohltaten im Wege standen. Der Zweck des Sündenbekenntnisses (Verse 6-43) ist zunächst der, das Hindernis der Erlösung in seinem ganzen Umfang und mit voller Schärfe darzulegen. Ohne Buße keine Vergebung, ohne Vergebung keine Segnungen. Die erste Sünde wird benannt: sie achteten nicht auf Gottes Wunder. Und weil sie seine Wunder nicht verstanden, dachten sie auch nicht an seine Gnadentaten. Ein oberflächliches Verständnis erzeugt ein kurzes Gedächtnis. Ach, wie viele Wunder Gottes werden auch von uns nicht wahrgenommen oder falsch verstanden!
Ps 106,7: Unsere Väter in Ägypten achteten nicht auf deine Wunder, sie gedachten nicht an deine große Gnade und waren widerspenstig am Meer, am Schilfmeer.
Ps 106,8: Er rettete sie um seines Namens willen, um seine Stärke offenbar zu machen.
Brauchst du Rat und Leitung? Sein Name ist Rat. Vertraue dich ihm und seinem Namen auch in dieser Hinsicht an. Hast du es mit mächtigen Feinden zu tun? Sein Name ist Kraft und Held. Bitte ihn, dass er seine Macht um seines Namens willen zu deinem Besten ausübe. Bedarfst du seines väterlichen Mitleids? Sein Name ist Vater. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten. Wende dich an sein Erbarmen um seines Namens willen. Brauchst du Frieden, äußeren oder inneren und ewigen? Sein Name ist Friedefürst. Flehe zu ihm um seines Namens willen, dass er dir Frieden gebe. Bist du krank an Leib und Seele? Sein Name ist: Der Herr ist dein Arzt. Suche bei ihm um seines Namens willen Heilung für alle deine Gebrechen. Benötigst du Vergebung? Sein Name ist: Der Herr unsere Gerechtigkeit. Wende dich an ihn um seines Namens willen, dass er gnädig sei aller deiner Ungerechtigkeit. Hast du die göttliche Gnadengegenwart nötig? Sein Name ist Immanuel, Gott mit uns. Glaube es, dass er mit dir ist, um seines Namens willen. Begehrst du Gehör für deine Bitten? Sein Name ist: Der Gebetserhörer. Brauchst du Trost? Sein Name ist: Der Trost Israels. Hast du eine Zuflucht nötig? Sein Name ist Zuflucht. Hast du nichts und brauchst alles? Gott ist alles in allen.
Ps 106,10: Er rettete sie von der Hand des Hassers und erlöste sie aus der Hand des Feindes.
Ps 106,12: Da glaubten sie seinen Worten und sangen sein Lob.
Das heißt also: sie glaubten die Verheißung, als sie diese erfüllt sahen, nicht eher. Diese Bemerkung dient nicht zu ihrem Lob, sondern zu ihrer Schande. Leute, die Gottes Wort nicht glauben, bis sie es erfüllt sehen, mangelt es an Vertrauen. Und so lieblich ihr Lob war, so kurz war er auch. Sie vergaßen seine Werke und überliessen sich nicht mehr seiner Führung. Bei Gott ist sowohl Rat als auch Stärke. Wir aber sind eitel genug, sie bei uns selbst zu suchen.
Ps 106,13: Sie vergaßen seine Werke bald. Sie warteten nicht auf seinen Rat.
Ps 106,14: Sie wurden begehrlich in der Wüste und versuchten Gott in der Einöde.
Sie suchten sie sich selbst glücklich zu machen mit zeitlichen Dingen, die doch keinem Menschen wahre Glückseligkeit geben, weil sie das Verlangen des zur Ewigkeit erschaffenen Menschenherzens nicht stillen können. Diese Begierde hegten sie, bis sie bei ihnen zur Sucht wurde. Eine böse Gier zieht die nächste nach sich. Sie wurden neidisch. Sie begehrten, was ihnen nicht gehörte. Sie wollten haben, was einem anderen gegeben war. Sie wollten wie Mose und Aaron sein. Der Gläubige dagegen ist ruhig und zuversichtlich, still und geduldig. Er hält an am Gebet und steht auf seinem Wartturm, zu sehen, was Gott zu seiner Zeit ihm antworten wird.
Ps 106,16: Sie wurden eifersüchtig auf Mose im Lager, auf Aaron, den Heiligen des Herrn.
Ps 106,19: Sie machten sich ein Kalb am Horeb und warfen sich nieder vor dem gegossenen Bild.
Mose ist schon 40 Tage auf dem Berg. Das Volk verliert die Geduld. Mose ist fort und mit ihm auch Gott. Ein neuer Gott muss her, der sichtbar und greifbar ist. Der Mensch liebt etwas, was er wahrnehmen kann, was seinen Sinnen entspricht und sie befriedigt. Sie machen sich ein goldenes Stierbild und opfern ihm. Doch ein selbst gemachter Gott hilft nicht, bewahrt nicht und rettet nicht. Während sie anstelle des Herrn ein Kalb verehrten, sind wir in Gefahr, denselben Geist zu offenbaren. Unser einziges Bewahrungsmittel ist, viel in der Gegenwart Gottes zu sein. Nur der Glaube vermag standhaft zu bleiben, als sähe er den Unsichtbaren (Heb 11,27).
Ps 106,21: Sie vergaßen Gott, ihren Retter, der Großes getan hatte in Ägypten.
Ps 106,23: Da wollte Gott sie vernichten, wäre nicht Mose gewesen, den er auserwählt hatte. Mose trat für sie in die Bresche, um Gottes Zorn abzuwenden und ihn davon abzuhalten, sie zu vernichten.
Mose hatte großen Einfluss bei Gott. Er war ein besonderes Vorbild unseres Herrn. Wie der auserwählte Erlöser zwischen dem Herrn und einer sündigen Menschheit eintrat, so stellte sich hier Mose zwischen Gott und sein ihn er zürnendes Volk. Bedenken wir die Macht der Fürbitte. Wenn man die Christen dazu bringen könnte, von dem Wert und der Macht der Fürbitte ein richtiges Bewusstsein zu haben, so würde der Fürbitte viel sein.
Ps 106,24: Sie verachteten das liebliche Land, sie glaubten seinem Wort nicht.
Gottes Liebe hatte ihnen dieses Land ausgesucht. Kanaan war ein Vorbild des Himmels. Aber sie dachten daran, dass es sie viel Mühsal und Gefahr kosten würde es einzunehmen. Sie glaubten seinem Wort nicht. Das ist die Grundsünde, die Wurzel alles anderen Bösen. Glauben wir Gottes Wort nicht, so werden wir natürlich auch die Gaben, die es verheißt, nicht achten. Darum wollten sie lieber darauf verzichten und schätzten es also gering. Sie redeten gegen die frohe Botschaft, die ihnen verkündigt worden war und hinterfragten damit Gottes Liebe und Gottes Wahrheit und hinterfragten so den Gott der Liebe und der Wahrheit selbst. Irdische Dinge den himmlischen Segnungen vorzuziehen heißt Ägypten statt Kanaan zu wählen, das Land der Knechtschaft statt des Landes der Verheißung.
Ps 106,25: Sie murrten in ihren Zelten, sie gehorchten nicht der Stimme des Herrn.
Ps 106,44: Er sah ihre Not an, als er ihr Schreien hörte.
Ja, die Sünden des Volkes sind zahlreich und groß, viel größer, als wir ahnen und ermessen. Und dennoch ist Gottes Gnade größer. Wie groß muss sie dann aber sein! Da sehen wir das treue Herz Gottes gegen uns, wie ihn unsere Not bewegt zur Hilfe und wie er sich als das ewige Gut gern selbst mitteilt und uns erfüllt, dass wir nicht verderben. Denn im Menschen ist eine große, grundlose, tiefe Verderbtheit, dass der Mensch nicht anders kann, als in sein Verderben zu eilen, in Gott aber ist die große grundlose Tiefe der Errettung, dass er von Natur nicht anders kann, als gern zu helfen.
Ps 106,45: Er gedachte an seinen Bund mit ihnen und empfand Mitleid nach seiner großen Gnade.
Gott ist einem sündigen Volk gut. Gott ist dem tausendmal Schuldigen gut. Er gedenkt seines Bundes, er gedenkt seiner Verheißungen an die Väter. Wir können uns daran nicht sattdenken: Gott gab den Vätern Verheißungen. Warum gab er ihnen Verheißungen? Weil er ihnen gut war. Warum war er ihnen gut? Weil sie etwa gut waren? Nein, weil er gut war. Wir ringen hilflos um Worte, wir können seine Gnade auch nicht annähernd in an gemessener Weise mit Worten würdigen.
Ps 106,46: Er ließ sie Barmherzigkeit finden bei allen, die sie gefangen hielten.
Ps 106,47: Rette uns, Herr, unser Gott! Sammle uns aus den Heidenvölkern, dass wir deinem heiligen Namen danken und uns glücklich preisen, zu deinem Ruhm!
Welche Freude, welche Rührung des Herzens, welches Labsal muß diese Wahrheit im Menschen bewirken, daß Unser Herr sein Erlöser und Retter ist und daß er sein Leben von ihm erhält! Ihm istdas Leben dazu gegeben, damit er es jedem schenke und damit alle es von ihm empfangen, wie er es vom Vater hat. Es ist nicht das Leben des Leibes, sondern das geistliche Leben. Um uns aber dieses Leben zu erwerben, hat Unser Herr es für uns erkauft um den Preisseines Blutes und das seine hingegeben. Also ist unser Leben nicht das unsere, sondern das seine. Wir gehören nicht mehr uns, sondern ihm. Franz von Sales
Ps 106,48: Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und alles Volk soll sagen: Amen! Hallelujah!
Luther hat bekanntlich vom Vaterunser gesagt, es sei der größte Märtyrer auf Erden, weil es so häufig gedanken und gefühllos, ohne Ehrfurcht und Glauben gebraucht wird. Diese Bemerkung lässt sich mit noch größerer Kraft auf das Wort Amen anwenden. Von Jugend auf sind wir mit dem Klang dieses Wortes vertraut. Die wörtliche Bedeutung „Also geschehe es“ ist allbekannt. Doch nur wenige beachten den tiefen Sinn. Aber es ist ein großes Wort, dieses Wörtlein Amen, und Luther hat recht gesagt: Wie dein Amen ist, so ist dein Gebet gewesen.
Das war eine Auslegung und ein Kommentar zum Psalm (Ps) 106