Psalm (Ps) 139: Auslegung und Kommentar
Auslegung und Kommentar zum Psalm (Ps) 139: Der Herr kennt mich
Ps 139:1: Dem Vorsänger. Von David. Ein Psalm. Herr, du erforschst mich und kennst mich!
Ps 139:2: Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.
Ich bin von dir beobachtet, wenn ich mich hinsetze und ebenso, wenn ich mich erhebe. Meine allergewöhnlichsten und zufälligen Handlungen, meine willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen werden von dir bemerkt, und du kennst die geheimen Gedanken, die all mein Tun und Lassen regeln. Ob ich in demütiger Selbstverleugnung niedersinke oder in Stolz auffahre, du siehst die Bewegungen meines Gemüts so gut wie diejenigen meines Körpers. Es ist eine Tatsache, woran wir jeden Augenblick denken sollten. Kein anderer Psalm beschreibt in so eindringlichen Worten die Unmittelbarkeit der Seele zu Gott wie dieser.
Die Betrachtung des Psalmisten zielt vor allem darauf ab, in das Geheimnis des transzendenten, uns aber dennoch nahen Gottes einzudringen. Benedikt XVI
Ps 139,3: Du beobachtest mich, ob ich gehe oder liege, und bist vertraut mit allen meinen Wegen.
Du umgibst mich überall und immer, wie die Luft beständig alle lebenden Wesen auf Erden umgibt. Ich bin eingeschlossen in den Mauern deiner Allgegenwart, überall umringt von dem Grenzwall deines Wissens. Ob ich wache oder schlafe, du beobachtest mich. Ich kann deinen Weg verlassen, du aber folgst allen meinen Spuren. Du kennst aufs Gründlichste all mein Handeln. Nichts von allem, was ich tue, ist dir verborgen oder überrascht dich oder wird von dir irrig. Ein demütiger Mensch weiss, dass Gott derjenige ist, der letztlich alle Umstände in seiner Hand hält und vertraut lieber ihm als sich selber.
Ps 139,4: Es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht völlig wüsstest.
Ps 139,5: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Gott kennt und weiß alles vollkommen und er kennt und weiß alles sofort, in weniger als einem Augenblick. Solche alles umfassende, alles durchdringende Erkenntnis würde ein Wesen, wie ich es bin, in die größte Verwirrung bringen. Aber Gottes Geist ist kein schwacher Menschenverstand. Möge dieser Gedanke, dass Gott all dein Wesen und Tun so kennt, als ob du das einzige existierende Geschöpf wärst und der Ewige einzig und allein damit beschäftigt wäre, dich zu beobachten, dein Gemüt mit heiliger Scheu und mit Bußfertigkeit erfüllen.
Gott hält uns, dass wir nicht gehen können, wohin wir wollen, sondern nur, wohin er will und nicht tun können, was uns gefällt, sondern nur, was ihm gefällt. Sind wir von der Knechtschaft des Eigenwillens befreit, wollen wir fortan dem Willen Gottes leben. Ich stehe unter Gott, denn er ist, da er der Erste und der Letzte ist, auch der Herr aller Dinge. Alles ist ihm untertan, und nun empfinde ich das auch ganz unmittelbar: Er hat seine Hand auf mich gelegt. Ich kann Gott nie und nirgends entkommen, aber das will ich auch nicht.
Ps 139,6: Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar, zu hoch, als dass ich sie fassen könnte!
Gerade dann erkennen wir am meisten von Gott, wenn wir erkennen, dass er unbegreiflich ist, wenn wir uns ganz überwältigt finden von den Gedanken an seine Vollkommenheit und uns genötigt sehen, anbetend vor ihm niederzusinken. Es ist ein Geheimnis um die Allgegenwart Gottes, das wir auch nach Jahren des Nachdenkens nicht ergründen.
Ps 139,7: Wo sollte ich hingehen vor deinem Geist, und wo sollte ich hinfliehen vor deinem Angesicht?
Ps 139,8: Stiege ich hinauf zum Himmel, so bist du da. Machte ich das Totenreich zu meinem Lager, siehe, so bist du auch da!
Beginne jedes Gebet damit, dich in Gottes Gegenwart zu versetzen. Gott ist in allem und überall. Es gibt keinen Ort, wo er nicht wirklich gegenwärtig wäre. Wohin die Vögel auch fliegen, sie bewegen sich in der Luft. So finden auch wir, wohin immer wir gehen mögen, Gott überall gegenwärtig. Jeder kennt diese Wahrheit, aber wie viele gibt es, die sie wirklich erfassen und wie häufig vergessen wir es schlicht und einfach? Wenn du also betest, dann sag von ganzem Herzen zu deiner Seele: Wahrhaftig, Gott ist hier, wahrhaftig, er ist in deinem Herzen. Bete daher nicht hastig, um viel beten zu können, sondern bemühe dich, was du betest, von Herzen zu beten. Ein Vater unser innig gebetet ist mehr wert, als viele rasch und eilfertig heruntergeleiert.
Ps 139:9: Nähme ich Flügel der Morgenröte und ließe mich nieder am äußersten Ende des Meeres,
Ps 139:10: so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten!
Ps 139:11: Spräche ich: Finsternis soll mich bedecken und das Licht zur Nacht werden um mich her!,
Ps 139:12: so wäre auch die Finsternis nicht finster für dich, und die Nacht leuchtete wie der Tag, die Finsternis wäre für dich wie das Licht.
Der Psalmist führt im weiteren auch die andere Wirklichkeit an, in der wir uns befinden: die Zeit. Sie wird durch symbolhafte Bilder der Nacht und des Lichts, der Finsternis und des Tages dargestellt. Selbst die Dunkelheit, in der man nur mühsam vorankommt und einem das Sehen schwerfällt, wird vom Blick und von der Epiphanie des Herrn des Seins und der Zeit durchdrungen. Seine Hand ist immer bereit, die unsere zu ergreifen, um uns auf unserem irdischen Weg zu führen. Deshalb bedeutet seine Nähe nicht Verurteilung, die Schrecken einflößt, sondern Hilfe und Befreiung. So können wir verstehen, was letztlich der wesentliche Inhalt dieses Psalms ist: Er ist ein Hymnus vertrauensvoller Zuversicht. Gott ist immer bei uns. Selbst in den dunkelsten Nächten unseres Lebens verläßt er uns nicht. Sogar in den schwierigsten Augenblicken ist er zugegen. Und auch in der letzten Nacht, in der äußersten Einsamkeit, in der uns niemand begleiten kann, in der Nacht des Todes, verläßt uns der Herr nicht. Er begleitet uns auch in dieser äußersten Einsamkeit der Todesnacht. Deshalb können wir Christen Vertrauen haben: Wir werden niemals allein gelassen. Die Güte Gottes steht uns immer zur Seite.
Ps 139,13: Denn du hast meine Nieren gebildet. Du hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
Er hat mich ins Dasein gerufen, weil er von Anfang an eine ganz bestimmte Absicht mit mir hatte. Er wollte mich von Anfang an zur Herrlichkeit führen. Darum musste ich im Mutterleib empfangen und geformt werden. Darum musste ich von diesen Eltern gezeugt und zu dieser Zeit und an jenem Ort geboren werden und darum musste ich auch all die Wege gehen, die ich in meinem Leben gegangen bin. Alles, was Gott in meinem Leben geschehen lässt, geschieht nach seiner Vorkenntnis und gemäß seinem Heilsvorsatz. Mir ist das alles ganz undurchsichtig, aber Gott überblickt alles und sieht durch alles hindurch.
Ps 139,14: Ich danke dir dafür, dass ich erstaunlich und wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, und meine Seele erkennt das wohl!
Wenn die geschaffenen Werke so großartig sind wie großartig muß dann erst ihr Schöpfer sein! Dazu ein Gebet von Charles de Foucauld: Mein Vater! Ich überlasse mich dir. Mach mit mir, was dir gefällt. Was du auch mit mir tun magst: ich danke dir. Zu allem bin ich bereit, alles nehme ich an. Wenn nur dein Wille sich an mir erfüllt und an allen deinen Geschöpfen, so ersehne ich weiter nichts, mein Gott. Amen! In deine Hände lege ich meine Seele. Ich gebe sie dir, mein Gott, mit der ganzen Liebe meines Herzens, weil ich dich liebe, und weil diese Liebe mich treibt, mich dir hinzugeben, mich in deine Hände zu legen, ohne Maß, mit einem grenzenlosen Vertrauen; denn du bist mein Vater. Amen! Charles de Foucauld
Gott liebt mich so wie ich bin. Er kennt mein Herz. Er kennt auch meine Begrenztheit, meine Fehler, meine Schwachheit. Seine Liebe ist bedingungslos und beständig. Er denkt viel größer über mich, als ich selbst es tue. Er traut mir mehr zu, als ich mir selber zutraue. Er findet mich wertvoll, unabhängig von dem was ich leiste. Gott hat mir Begabungen und Fähigkeiten geschenkt, die nur ich habe. Deshalb brauche ich mich nicht mit anderen zu vergleichen oder messen. Mein Ziel ist es zu erkennen, wie Gott mich gemeint hat und in seiner Bestimmung für mein Leben zu leben. Mich erkennen wie Gott mich gemeint hat, kann ich nur, wenn ich mein Herz öffne und ihm begegne, wenn ich ihn im Gebet frage und er mir eine Antwort ins Herz legt. Ich möchte nicht mehr leben, um anderen Menschen zu gefallen, sondern um Gott zu gefallen. Meine Identitätsfragen : „Wer bin ich? Warum bin ich? Woher komme ich? Wo gehe ich hin?“ haben in Jesus Christus eine Antwort bekommen. Ich bin eine geliebte Tochter Gottes, ich bin erschaffen um mit Gott in Gemeinschaft, in Beziehung zu leben ( das ist meine Bestimmung), Gott ist mein Schöpfer und nach meinem Tod werde ich nach Hause zu Gott-Vater zurückkehren. Meine Identität ist in Christus. Ulrike Puintner
Ps 139:15: Mein Gebein war nicht verhüllt vor dir, als ich im Verborgenen gemacht wurde, kunstvoll gewirkt tief unten auf Erden.
Ps 139,16: Deine Augen sahen mich schon als ungeformten Keim, und in dein Buch waren geschrieben alle Tage, die noch werden sollten, als noch keiner von ihnen war.
In unserem Psalm ist die Vorstellung sehr stark, daß Gott schon die gesamte Zukunft des entstehenden Embryos sieht: Im Buch des Lebens des Herrn sind schon alle Tage verzeichnet, die dieses Geschöpf erleben und im Laufe seiner irdischen Existenz mit Taten erfüllen wird. So tritt wieder die transzendente Größe des göttlichen Wissens hervor, das nicht nur die Vergangenheit und die Gegenwart der Menschheit umfaßt, sondern auch die noch verborgene Zeitspanne der Zukunft. Aber es scheint auch die Größe dieses kleinen, noch nicht geborenen menschlichen Geschöpfes auf, das die Hände Gottes geschaffen haben und dessen Liebe es umfängt: ein biblischer Lobpreis des Menschen vom ersten Augenblick seiner Existenz an. Benedikt XVI
Ps 139,17: Wie kostbar sind mir deine Gedanken, o Gott! Wie ist ihre Summe so gewaltig!
Gottes Gedanken sind kostbar. Je mehr wir uns vertiefen in Gottes Wesen, in seine Ewigkeit und Allmacht, in seine Gnade und Gerechtigkeit, und je mehr wir uns selbst in diesem Licht sehen, desto größer wird unsere Bewunderung für Gott und seine Werke. Wer er ist, wie er ist und was er an uns tut, ist etwas, das uns jedes Mal neu bewegt, erfreut und ergreift.
Die biblische Erkenntnis geht über das bloße verstandesmäßige Verstehen hinaus. Sie ist so etwas wie eine Gemeinschaft zwischen Erkennendem und Erkanntem: Der Herr ist uns also während unseres Denkens und Handelns in enger Vertrautheit nahe.
Köstliche Gedanken Gottes: Gott denkt allezeit an uns. Er wendet Seine Gedanken nie von uns ab. Er hat uns beständig vor Seinen Augen. Und das ist es gerade, was wir brauchen, denn es wäre schrecklich, wenn wir auch nur einen Augenblick von der Obhut unseres himmlischen Vaters ausgeschlossen wären. Seine Gedanken sind immer zärtlich, liebevoll, weise, umsichtig, weitreichend und sie gewähren uns unbeschreibliche Segnungen. In all unseren Verirrungen ist der wachsame Blick des ewigen Hüters unabwendbar auf uns gerichtet. In unseren Ängsten beobachtet Er uns unentwegt. Ihm entgeht kein einziger Seufzer. In all unserem Mühen achtet Er auf unser Ermatten und verzeichnet in Seinem Buch jeden Kampf Seiner Getreuen. Diese Gedanken des Herrn begleiten uns auf all unseren Wegen und durchdringen unser innerstes Wesen. Liebe Seele, ist dieser Gedanke dir kostbar? Dann halte ihn fest. Wenn der Herr an uns denkt, so ist es gut und wir freuen uns dessen ohne Ende
Ps 139,18: Wollte ich sie zählen — sie sind zahlreicher als der Sand. Wenn ich erwache, so bin ich immer noch bei dir!
Es ist so wichtig, dass wir, ehe wir Eindrücke von der Außenwelt empfangen und die irdischen Dinge uns überfluten, unser Herz mit Gedanken an Gott in einen guten Zustand versetzen und die ersten frischen, noch nicht verunreinigten Regungen unseres Fühlens, Denkens und Wollens Gott weihen, ehe die Kräfte unserer Seele sich niedrigeren Gegenständen preisgeben. Ein großer Vorzug des Christen vor anderen Menschen ist der, dass er seinen besten Freund stets bei sich hat und nie, es sei denn durch eigene Schuld, von ihm fern sein muss. Mag er von allen anderen Abschied nehmen müssen, so doch nie von ihm.
Ps 139:19: Ach, wollest du, o Gott, doch den Gottlosen töten! Und ihr Blutgierigen, weicht von mir!
Ps 139:20: Denn sie reden arglistig gegen dich; deine Feinde erheben ihre Hand zur Lüge.
Ps 139:21: Sollte ich nicht hassen, die dich, Herr, hassen, und keine Abscheu empfinden vor deinen Widersachern?
Ps 139:22: Ich hasse sie mit vollkommenem Hass, sie sind mir zu Feinden geworden.
Ps 139,23: Erforsche mich, o Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich es meine.
Auf das Herz kommt es an. Von ihm sind die Ausgänge des Lebens. Ist das Herz gut, ist alles Übrige gut. Ist das Herz böse, ist alles Übrige böse. Daher lehrte der Sohn Gottes: Glückselig, die reinen Herzens sind. Wir müssen Gott darum bitten, uns unser Herz zu offenbaren, denn es ist so arglistig, dass keiner es selbst zu erkennen vermag.
Gott weiß alles und ist an der Seite seines Geschöpfes gegenwärtig, das sich ihm nicht entziehen kann. Seine Gegenwart bedeutet jedoch nicht Bedrohung oder Kontrolle; gleichwohl richtet er sicher seinen strengen Blick auf das Böse, dem er nicht gleichgültig gegenübersteht. Benedikt XVI
Ps 139,24: Und sieh, ob ich auf bösem Weg bin, und leite mich auf dem ewigen Weg!
Dieser Weg heißt Jesus Christus. Nur wer in Christus ist, geht den Weg zum ewigen Leben. Nie ist einer den ewigen Weg gegangen, der nicht in Christus gewesen wäre. Allerdings erkennt man den Menschen in Christus daran, dass er beständig nach diesem Weg fragt und Gott immer wieder bittet, ihn auf diesem Weg zu erhalten. So wird er auf dem Weg wandeln, der allein zum Vater führt.
Das war eine Auslegung und ein Kommentar zum Psalm (Ps) 139.